Das Gesundheitswesen stellt die größte Branche unserer Volkswirtschaft dar, sowohl von der Anzahl der Beschäftigten als auch von den erwirtschafteten Umsätzen her.
Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich im internationalen Vergleich in einer absoluten Spitzenposition und stellt einen hohen Wert für die Lebensqualität der Bevölkerung in Deutschland dar.
Dem deutschen Gesundheitswesen steht ein starker Nachfragezuwachs bevor, wobei demographische Gründe und eine überalternde Bevölkerung eine wichtige Rolle spielen. Der Eintritt der Generation der „Babyboomer“ ins Rentenalter hat bereits begonnen und wird diese Entwicklung nochmals stark dynamisieren.
Ein sehr hoher Anteil der deutschen Krankenhäuser und Rehakliniken erwirtschaftet derzeit Verluste. Immer häufiger sind Insolvenzen zu verzeichnen.
Im deutschen Gesundheitswesen herrscht massiver Kräfte- und Fachkräftemangel. Die Bewerberzahlen für den Pflegeberuf sinken. Das Ansehen der Medizin- und Pflegeberufe leidet zunehmend unter einer stark negativen Darstellung in der öffentlichen Diskussion. Verstärkt werden diese Tendenzen durch die wirtschaftliche Schieflage vieler Krankenhäuser, in deren Folge wiederum deren Attraktivität als Arbeitgeber leidet.
Ein großer Teil der Krankenhäuser und Rehakliniken ist – nicht zuletzt durch die Einführung von Pflegeuntergrenzen – gezwungen Betten stillzulegen. In der Folge sind – anders als in der Vergangenheit und so wie in vielen anderen Ländern zu konstatieren – längere Wartezeiten auch auf dringend notwendige Eingriffe zu verzeichnen.
Ein Reformbedarf im deutschen Gesundheitswesen ist unbestreitbar vorhanden. Dazu werden auch Eingriffe in die gegenwärtige Krankenhausstruktur erforderlich sein. So ist es aus qualitativen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, komplexe medizinische Leistungen an weniger Standorten zu konzentrieren und gleichzeitig die Basismedizin, die künftig im Wesentlichen ambulant angeboten wird, zu dezentralisieren. Diese Entwicklung muss durch ein Sektor übergreifendes Finanzierungssystem befördert werden. Insolvenzen sind aber ganz sicher nicht das adäquate Mittel einer solchen systematischen Strukturpolitik. Eine nachhaltig wirkende Gesundheitsreform braucht Zeit und Investitionen. Auf jeden Fall muss das wirtschaftliche Überleben der relevanten Akteure sichergestellt werden.
Insolvenzen ziehen zudem massive Kollateralschäden in der Zulieferindustrie nach sich und gefährden nachhaltig die lebensnotwendigen Supply-Chains.
Nachdem mit der Automobilindustrie bereits eine wesentliche Schlüsselindustrie in Deutschland unter Druck geraten ist, die deutsche Volkswirtschaft insgesamt von Stagnation oder leicht rezessiven Tendenzen geprägt wird, darf nicht auch noch die größte und mitarbeiterstärkste Branche existenziell geschwächt werden. Es geht hier auch um den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Zu fordern ist daher eine auskömmliche Zwischenfinanzierung aller beteiligten Akteure, die auch die Auswirkungen der Inflation und der Energiekostenentwicklung berücksichtigt. Es werden ansonsten Strukturen unwiederbringlich zerstört, die uns bislang einen Spitzenplatz im internationalen Vergleich der Gesundheitssysteme ermöglicht haben. . Es geht um nichts anderes als das Wohl unserer Bevölkerung – unser Patienten und Mitarbeiter.
Offener Brief an Bundesminister Prof. Dr. Karl Lauterbach am 16.11.2023
zur Lage der Krankenhausfinanzierung:
Insolvenzen sind kein geeignetes Mittel der Strukturpolitik im Gesundheitswesen
Stabilisierung des Systems als Basis für eine sinnvolle und geordnete Restrukturierung
Ressourcen sorgsam nutzen und Lieferketten schützen
Immer mehr Krankenhäuser geraten in eine massive finanzielle Schieflage. Uns ist an dieser Stelle daran gelegen zu betonen, dass wir nicht prinzipiell gegen eine Strukturreform des Gesundheitswesens opponieren. Wir halten es jedoch für sehr unwahrscheinlich, dass die geplante Reform kurzfristig zu einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation unverzichtbarer Akteure führen wird. Das deutsche Krankenhauswesen ist in den vergangenen zwei Jahren, die von multiplen nationalen und internationalen Krisen geprägt waren, unter ökonomischen Aspekten in eine Schieflage geraten, die akuten Handlungsbedarf erfordert. Man denke an Fachkräftemangel, steigende Personalkosten, allgemeine Inflation, erodierende Lieferketten, Rückgang der Fallzahlen und eine drastische Steigerung der Energiekosten.
Wir sind der festen Überzeugung, dass die Situation in der Gesundheitswirtschaft, des größten Arbeitgebers und der umsatzstärksten Branche unserer Volkswirtschaft, in einer allgemein schwierigen Situation der führenden Branchen Deutschland nicht auch noch destabilisiert werden darf. Wir stehen am Rande einer Rezession und dürfen nicht tatenlos zusehen, wie eine Kernbranche – und zudem eines der besten Gesundheitswesen der Welt – nachhaltig geschädigt wird. Es entstehen dadurch u.a. auf unterschiedlichen Ebenen Kollateralschäden, die in ihrer Dimension und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen kaum absehbar sind. Diese möchten wir daher nachfolgend einer kurzen Betrachtung unterziehen.
1. Insolvenzen sind nicht das geeignete Mittel einer geordneten Strukturpolitik.
Insolvenzen und massive Schieflagen betreffen derzeit auch solche Akteure, die in einer reformierten Krankenhausstruktur zukünftig unabdingbar sind. Der ungeordnete durch Insolvenzen provozierte Kapazitätsabbau ist in der medizinischen und pflegerischen Versorgungslandschaft ein Strukturrisiko. Darauf zu hoffen, dass die mehr oder weniger willkürliche Reduzierung/Verlagerung der Versorgungsangebote dazu führen, dass diese Leistungen nicht mehr oder an anderer Stelle angeboten werden, ist angesichts des akuten Fachkräftemangels und vor dem Hintergrund unserer Demografie eine kühne Vorstellung. Was hier nachhaltig geschädigt oder zerstört wird, steht für die geplante Struktur nicht mehr zur Verfügung.
2. Schädigung der Kommunen als Krankenhausträger
Viele Kommunen verwenden zum Ausgleich der erheblichen Defizite Ihrer Krankenhäuser bereits große Teile ihrer Haushaltsmittel, sodass Gelder für andere wichtige kommunale Aufgaben wie Bildung, Sport, Kultur, Beratungsstellen, humanitäre Hilfe etc. fehlen und manche Angebote gänzlich gestrichen werden müssen. Die finanzielle Lage der Kommunen in Deutschland dürfte ohnehin aktuell äußerst angespannt sein.
3. Das Gesundheitswesen als Arbeitgeber
Eines der größten Probleme des Gesundheitswesens ist der Fachkräftemangel. Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage oder in der Insolvenz sind ganz sicher keine attraktiven Arbeitgeber. Im Wettbewerb um geeignete Nachwuchskräfte verliert das Gesundheitswesen an Wettbewerbsfähigkeit auf den Arbeitsmärkten – und das bei ohnehin rückläufigen Bewerberzahlen.
4. Insolvenzen hinterlassen Flurschaden in der Supply-Chaine
Wer sind denn die Gläubiger, die im Falle einer Insolvenz auf ihre Forderungen verzichten müssen? Es entstehen Schäden auf allen Ebenen, nicht zuletzt bei gewachsenen Zuliefererstrukturen in der mittelständischen Wirtschaft. Auch hier werden Strukturen geschädigt oder unwiederbringlich zerstört, die man später für die reformierten Strukturen dringend benötigen wird.
5. Insolvenzen zerstören langjährige Partnerschaften
Dienstleister stehen mit ihrem Know-how und ihrer Erfahrung bereit, die Krankenhäuser bei der Transformation zu einer bedarfsgerechten, nachhaltigen und digitalen medizinischen Versorgung der Zukunft maßgeblich zu unterstützen. Diese Basis aus Unterstützern wird durch die unsichere Lage und Insolvenzen von Krankenhäusern gefährdet und/oder destabilisiert. Erforderliche Partner stehen dann nicht oder nicht mehr in ausreichendem Maße für die Umsetzung einer Krankenhausreform zur Verfügung
6. Insolvenzen kosten Geld
Die öffentliche Hand steht zunächst für die Löhne und Gehälter der insolventen Betriebe gerade, etwa durch Insolvenzausfallgeld. Die betroffenen Betriebe müssen in der Regel aufwendig saniert werden, nicht zuletzt durch die Hinzuziehung von Unternehmensberatungen. Auch die Insolvenzverwaltung erzeugt beträchtliche Zusatzkosten.
7. Steigende Nachfrage
In den kommenden Jahren scheiden die geburtenstarken Jahrgänge der „Babyboomer“ aus dem Berufsleben aus. Erfahrungsgemäß nimmt der Mensch den bei weitem überwiegenden Teil der im Verlauf seines Lebens erforderlichen Gesundheitsdienstleistungen erst nach dem Eintritt ins Rentenalter in Anspruch. Es steht also ein demographisch bedingte Nachfragesteigerung an, die in den Überlegungen der Gesundheitsreform unbedingt eine Rolle spielen sollte. Dabei sollten auch die Grenzen dem Ambulantisierung angesichts der wachsenden Zahl von alten und pflegebedürftigen Menschen bedacht werden.
Reformieren und Vertrauen wieder herstellen
Wir möchten, wie bereits in unserem ersten Offenen Brief vom 6. September 2023, erneut das Ziel der Krankenhausreform unterstützen, komplexe medizinische Leistungen an weniger Standorten zu konzentrieren und gleichzeitig die künftig verstärkt ambulant angebotene Basismedizin zu dezentralisieren. Denn wir stehen am Ende einer Überflussökonomie, was sich bereits anhand von Lieferengpässen und Personalmangel zeigt. Knappheit zwingt uns, mit Ressourcen sorgsamer umzugehen. Das gilt auch für Dienstleistungs- und Industriestrukturen, die nicht einfach zu ersetzen sind, wenn sie erst einmal verschwunden sind.
Die überwiegend negative Diskussion inklusive einer schlechten Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems wirkt auch auf Patienten und Mitarbeiter. Eine solche Negativdarstellung ist weder gerechtfertigt noch ist sie dazu geeignet Vertrauen und Zuversicht zu erzeugen. Wir sind davon überzeugt, dass für die notwendige Reform und Transformation ein Klima erforderlich ist, das auf gemeinsame Ziele, Aufbruchstimmung, Vertrauen und Transparenz setzt und die Chance bietet, die Zukunft gemeinsam nachhaltig zu gestalten.
Fazit
Zusammenfassend muss aus unserer Sicht das System des deutschen Gesundheitswesens zunächst stabilisiert werden um es dann geordnet restrukturieren zu können. Hierzu müssen von allen Beteiligten die erforderlichen finanziellen Mittel kurzfristig bereitgestellt werden. Wir bitten um Berücksichtigung und Unterstützung unserer Anliegen bei den weiteren Verhandlungen zur Krankenhausreform und möglicher Zwischenfinanzierungen. Gerne stehen wir Ihnen weiterhin für einen Austausch zu Verfügung.
Rückblick NEU Tagung 2022
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